Eine amour fou, eine hübsche Erbschaft und ein erfüllter Traum: das sind die Hauptbestandteile des Romans „Mondbeben“ von Ludwig Fels. Oder sollte man statt Roman besser sagen: eines bösen Märchens: „Vielleicht war die Welt nur ein schlechter Traum, und vielleicht liebte der Mensch deshalb besonders die grausamen Märchen“. Das Unheil beginnt, wie so oft, mit einem Fund im Internet
Das Paar, Olav und Helen Ostrander, hat allen Grund, Deutschland den Rücken zu kehren. Olav kommt aus einer leicht anrüchigen Branche, er war Schuldeneintreiber, ein Repossessionman, kurz Repo-Man, wie es im Amerikanischen heißt. Dass man in diesem Business schon mal zu härteren Bandagen greifen muss, kommt ihm zustatten, als er seine Nachbarin vor ihrem rasenden Ehemann rettet. Das vergisst ihm Helen nicht und heiratet Olav noch in der Haft, die er wegen schwerer Körperverletzung antreten muss. Wieder auf freiem Fuß, erwartet sie ein Geschenk des Himmels in Gestalt einer hübschen Erbschaft. Da kommt ein Angebot gerade recht, das einen Neuanfang verheißt, unter Palmen, in einem weißen Haus am Meer, gelegen auf einer tropischen Insel. Das lässt sich zunächst gut an: der Immobilienmakler von der „Hidden Pearl Resort Company“ höflich und zuvorkommend, das Hotel „Rosemilk“ einladend. Die Baranzahlung, schwarz ins Land gebracht, wird mit einem Vorvertrag besiegelt. Doch der erste Eindruck täuscht. Es brodelt in dem ungenannt bleibenden afrikanischen Land. Hinter der Postkartenidylle Müllberge, marodierende Kinderhorden, eine raffinierte Prostituierte, ein brutaler Polizeichef, der dem einstigen ugandischen Diktator Idi Amin in nichts nachsteht. Fels lässt die Ereignisse eskalieren. Die Warnzeichen werden zum Menetekel, die Protagonisten zeigen ihre häßlichen Gesichter, zumal Olav immer munter dagegen hält. Schließlich bleibt er sogar allein zurück, mit einem massiven Alkoholproblem in der leeren Villa am Meer. Eine üble Augenverletzung, die ihr auf kuriose Weise zugefügt wurde, zwingt Helen zur Rückkehr nach Deutschland. Die Situation kippt vollends, als politische Unruhen ausbrechen. Olav wird zum Spielball der korrupten Clique. Er überlebt nur, weil man ihn weiter melken will. Im Sauseschritt biegt der Roman jetzt auf die Zielgerade ein, mit einem zünftigen Finale, das aber hier nicht verraten werden soll.
„Mondbeben“ , ein lohnender Thriller also? Das Buch lässt sich so lesen, weist aber einige Ungereimtheiten auf. Der Plot ist gradlinig, unterbrochen nur von den Passagen, die über das Vorleben Helens und Olavs aufklären. Diese Paar ist allerdings arg blauäugig und die Einheimischen entpuppen sich allesamt als finstere Gesellen. Das ist schwarz-weiß gezeichnet, wie auch die Dialoge hart, direkt und lakonisch daherkommen, ohne Rücksicht darauf, wer da mit wem spricht. Der Spannung tut das aber keinen Abbruch, im Gegenteil.
Fragen kann man sich aber, welche koloniale Geschichte „Mondbeben“ eigentlich erzählt. Immerhin passiert das Paar wiederholt ein Denkmal am Fährhafen, das an die dunklen Zeiten des Sklavenhandels erinnert. Eingelassen in eine Grube, ist dort eine Schar von Tonfiguren mit echten Ketten für den Abtransport zusammengepfercht. Die Grube voller Abfall, die Figuren verunstaltet. Olav unternimmt sogar einen zaghaften, eher unbewussten Versuch, eine Figur wiederherzustellen. Aber da hat er schon eine ganze Kette unheroischer Zwischenfälle und Fehlleistungen hinter sich. Er ist nicht der Typ, der seine Rolle in der Abfolge von Situationen des Scheiterns reflektieren und kulturelle Missverständnisse aufspüren könnte. Wenn Fels diesen Konflikt stärker herausgearbeitet hätte, wäre es ein anderes Buch geworden.
Der gebürtige Franke Ludwig Fels, schon lange in Wien lebend, hat einen weiten Weg zurückgelegt. In seinen politischen Anfängen, als zorniger junger Mann, ernannte ihn die Kritik zum Arbeiterschriftsteller. Das war in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Danach hat er in vielen Genres Erfolge errungen, im Hörspiel, auf dem Theater, als Lyriker und Erzähler. Ein belesener Autor, der eingangs Ovid, Büchner und Goethe zitiert: „Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiß in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.“
Bernd Zabel
Ludwig Fels, Mondbeben, Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2020