Verfolgt, vertrieben, ihrer Sprache enteignet – wie es Autorinnen und Autoren im Exil ergeht
Gestern noch in der Öffentlichkeit, am nächsten Tag im Versteck, dann die Verhaftung oder heimliche Flucht gegen hohe Schmiergeldzahlung. So erging und ergeht es zahlreichen Autor*innen weltweit. Viele, denen die Flucht gelang, landeten in Deutschland.
Einige wenige erheben hier ihre Stimme und werden gehört, aber die Mehrzahl bleibt stumm, denn sie haben Familie und Angehörige zurücklassen müssen und die Regime halten sich mit Sanktionen und Schikanen schadlos.
Daher die verbreitete Angst, nicht nur bei türkischen oder iranischen Flüchtlingen. Jedes Fluchtschicksal ist eben ein besonderes. Es macht einen großen Unterschied, ob er/sie hier eine Gemeinschaft von Landsleuten vorfindet, ob der Arm der Verfolger, der Geheimdienste, bis ins Gastland reicht und wie schwer die Traumatisierung durch Flucht, Verfolgung, Haft und Folter auf der Seele lastet.
Viele leben unter prekären Bedingungen, vor allem, weil es ihnen an ihrem Handwerkszeug mangelt, der Sprache. Wie sollen sie ihren Beruf, ihre Berufung weiter ausüben, wenn die Sprachbeherrschung die entscheidende Rolle für ein Fortkommen bildet? Autor*innen mit guten Englisch-, Französisch- oder Spanischkenntnissen haben es leichter, Zugang zur hiesigen Szene zu finden. Denn sie brauchen, um zu publizieren, Kontakte zu Verlagen, Übersetzern und Redaktionen, benötigen Lesungen und Veranstaltungen, um ihr im deutschsprachigen Raum oftmals völlig unbekanntes Werk dem Publikum vorzustellen. Es gibt zwar Verlage, die Bücher von ein, zwei geflüchteten Schriftsteller*innen herausgebracht haben, aber nur wenige erheben sie zum Schwerpunkt ihrer Verlagstätigkeit. So ist der Sujet-Verlag aus Bremen auf iranische Literatur spezialisiert. Jüngst erschien der Titel „Flüchtlingscafe“ von Nahid Keshavarz, eine Sammlung wundersamer Alltagsgeschichten aus dem migrantischen Milieu. Hier wird auch die Lyrik Widad Nabis publiziert, einer kurdisch-syrischen Autorin, die seit 2014 in Berlin lebt, wo sie schnell Kontakt zur Literaturszene bekam und Texte für Zeitungen und Zeitschriften schreibt. Sie wurden bereits in Anthologien aufgenommen, etwa „Weg sein – hier sein“ (Secession-Verlag) oder „Die Flügel meines schweren Herzens“ (Manesse-Verlag).
Als wäre es nicht schon schwierig genug, räumt die deutsche Politik mitunter noch weitere Steine in den Weg. So wurde der kurdische Mezopotamien-Verlag Anfang Februar 2019 wegen angeblicher Nähe zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) von Innenminister Seehofer verboten. Dieses Schicksal muss den Berliner Verlag Mikrotext vorerst nicht beunruhigen, obwohl seine Autor*innen auch in extremis gehen. Kadhem Khanjar, ein irakischer Dichter und Performer, veröffentlicht seine Texte im Netz: an Orten der Zerstörung und des Todes, neben ausgebrannten Autos, auf Minenfeldern, in zerbombten Häusern. Die Videos der Leseperformances lädt er auf YouTube (https://www.youtube.com/watch?v=fHVKSBQ6MRA) mit deutschen Untertiteln hoch und nennt sie „Picknicker mit Sprengstoffgürtel“ oder „Wir kämpfen ums Vergnügen“. Er reiht Bilder von Hinrichtungen, Gewalt und Tod aneinander und porträtiert in knappen Sequenzen gestorbene Freunde. Khanjar spricht im Interview von der destruktiven Langeweile eines andauernden Ausnahmezustands. Obwohl hauptsächlich in Westeuropa unterwegs, kehrt er bewußt immer wieder in den Irak zurück.
Der Syrer Aboud Saeed widmet sich ebenfalls dem Alltag in seinem Land. Seine gesammelten Posts „Der klügste Mensch auf Facebook“ liegen inzwischen in der vierten Auflage vor. Saeed hat mit „Lebensgroßer Newsticker“ nachgelegt, er schreibt inzwischen auch für VICE Germany und für die taz. Mit seinen witzigen, inkorrekten Kurztexten ist es ihm gelungen, ein junges Publikum anzusprechen. Ebenfalls aus Syrien stammt Rosa Yasin Hassan. Sie engagiert sich für Frauenrechte. Zwei ihrer Romane und Erzählungen liegen auch auf Deutsch vor, „Wächter der Lüfte“ und „Ebenholz“, beide im auf arabische Literatur spezialisierten Alawi-Verlag in Köln. Hassan setzt sich mit den Tabus auseinander, die das Leben in Syrien bestimmen, Politik, Religion und Sexualität als Gewalt- und Unterdrückungszusammenhang, gerade gegenüber Frauen. Sie lebt von und aus den Geschichten, die sie nicht loslassen. Und sie verdeutlicht mit jeder Zeile die Einzelschicksale hinter den Zahlen, Daten und Fakten aus den Medien. Sie hofft, bald nach Syrien zurückkehren zu können, denn „Deutschland wird immer Exil für mich bleiben“.
Normalerweise lesen wir nur von solchen Autor*innen wie Hassan und Saeed, die es gegen alle Widrigkeiten „geschafft“ haben. Die mit Stipendien, dank der Hilfe verständiger Menschen und viel Glück wieder schreiben können und wahrgenommen werden. Für die große Mehrheit sieht es jedoch anders aus. X.N., Journalistin und Autorin aus Tschetschenien, oder K.E., Blogger aus China, ein scharfer Kritiker des Pekinger Regimes, gaben die Schriftstellerei auf, weil sie bedroht wurden, und suchten sich andere Berufe. Dass es diesen Menschen – sie mussten ja aus ihren Heimatländern fliehen, weil sie das Wort als Waffe benutzen – überhaupt gelingt, hier schriftstellerisch Fuß zu fassen, ist oft unabhängigen, kleineren Verlagen zu verdanken, die zwar wenig Marketingpower, dafür aber um so mehr Mut haben. So wie der Allitera-Verlag München, der gerade mit „Wir sind da“ eine Anthologie mit Texten geflüchteter Autor*innen herausgebracht hat.
Wir, die Leser*innen, sollten ihnen unsere Anerkennung nicht versagen.
Beitragsbild von Gerd Altmann auf Pixabay
Erschienen: LiteraturSeiten München, Ausgabe 04/2019