Reden hilft

Flüchtlingshilfe und Kulturarbeit

Deutschland wird zwischen 800.000 und eine Million Vertriebene aufnehmen, über vier Millionen sind bereits allein aus Syrien geflohen. Hilfsprogramme für Flüchtlinge und die Aufnahmegesellschaften leiden an chronischer Unterfinanzierung. Mit der Zahl der Flüchtlinge seit dem Beginn der Syrien-Krise 2011, so das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung, ist aber auch die Zahl der freiwilligen Helferinnen und -helfer gestiegen.

Kleiderspenden, Deutschunterricht und Amtsbegleitung sind die häufigsten Projekte, an denen Engagierte sich beteiligen.

Bildung ist für Syrer ein hohes Gut. Vor dem Krieg war es in Syrien verpflichtend eine kostenfreie Schule zu besuchen. In Jordanien müssen rund 20 Prozent der Kinder die Schule abbrechen um eine Arbeit aufzunehmen. Bei Mädchen führt diese Situation in einigen Fällen auch zu frühen Zwangsehen.
Auch deswegen, um diese Lücken von Bildung und Finanzierung zu schließen, entwickelten sich u.a. in Deutschland spontane sowie langfristige Hilfsprojekte von Kulturschaffenden und Kulturnahen Instituten.
Im Literaturbereich sind das etwa Blogger für Flüchtlinge, eine Benefiz- und Spenden-Aktion deutschsprachiger BloggerInnen, Bücher sagen Willkommen, die vom deutschen Buchhandel initiierte Lernhilfe-Aktion in Flüchtlingscamps in Deutschland, u.a. mit Lese- und Lernecken und Spenden-Aktionen, oder das PEN-Zentrum Deutschland mit seinen Writers-in-Exile-Stipendien und dem Rapid Network für Writers in Prison-Hilfe.

Fairer Buchfragt stellt ab jetzt kulturelle FlüchtlingshelferInnen aus der Buchbranche vor.

REDEN HILFT
Teil I: Das Goethe-Institut

Nachgefragt bei Dr. Bernd Zabel, Fachbereich Literatur und Übersetzungsförderung der Zentrale des Goethe-Instituts, München
Das Goethe-Institut fährt seit 2013 Projekte im zweitgrößten Flüchtlingscamp der Welt, dem Zaatari Camp in Jordanien durch, etwa Vorlesecamps oder Sprachkurse für Kinder, und ist an dem Action-for-Hope-Netzwerk beteiligt. 83.000 Menschen leben zurzeit in der Containerstadt, Beduinen sagen von dem Flecken inmitten des Wüsten-Niemandslandes hinter Mafraq, hier habe zuletzt der Teufel gewohnt. Das Goethe-Institut organisiert seit 2011 Sprachkurse für Flüchtlinge, um sie für einen Aufenthalt in Deutschland vorzubereiten, als auch Lernhilfen und Deutschlehrer-Kurse in Deutschland.

FairerBuchmarkt: Dr. Zabel, In welchen Ländern, und wie viele Menschen soll möglichst geholfen werden?

Dr. Zabel: Schwerpunkt sind die Projekte in den Flüchtlingslagern in Jordanien, dem Libanon, in der Türkei. In den Lagern halten sich die Flüchtlinge auf, die nicht über die Mittel verfügen, um die Reise nach Europa antreten zu können. Unter ihnen auch solche Menschen, denen das UNHCR, das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, im Rahmen des Resettlements, der Familienzusammmenführung, die Möglichkeit verschafft, auf legalem Weg einzureisen. Mit dieser Perspektive machen Sprachkurse speziell in der nervtötenden, monotonen Lagerwelt besonderen Sinn.

Grafik: www.fairerbuchmarkt.de

FairerBuchmarkt: In welchem Zeitraum werden diese Sprachkurse und Ausbildungen durchgeführt?

Dr. Zabel: Die Kurse laufen schon seit annähernd zwei Jahren und sie laufen natürlich nicht nur in den Lagern, sondern auch in den Hauptstädten, also in Cairo, Amman, Beirut, Ankara, Istanbul und Izmir, wo das Goethe-Institut vertreten ist.
Man darf sich diese Kurse nicht als geschlossenes Curriculum vorstellen. Oft geht es nur darum, die Zeit bis zur Weiterreise sinnvoll zu nutzen und eine Art sprachliches Überlebenstraining anzubieten, sozusagen Deutsch auf SOS-Niveau.

FairerBuchmarkt: Besonders junge Leute, Studenten und Kinder haben auf der Flucht keine Möglichkeit, ausgebildet zu werden. Jedes 5. Syrische Kind kann nicht mehr zur Schule gehen. Wie versucht das Goethe-Institut, den Studierenden zu helfen? Und den Kindern?

Dr. Zabel: Unter den Sprachkursteilnehmern sind bezeichnenderweise viele junge Menschen, speziell Studenten, die genau wissen, dass sie für die Aufnahme oder Weiterführung ihres Studiums entsprechende Deutschkenntnisse nachweisen müssen.
In den Lagern gibt übrigens auch Theater, Mal- und Bastelkurse, die allerdings nicht von GI (Goethe-Institut-)Mitarbeitern, sondern von Expertinnen und Experten durchgeführt werden. Diese Angebote werden aber aus den Mitteln finanziert, die die Bundesregierung dem GI zur Verfügung gestellt hat. Das gilt natürlich auch für die psychologischen Hilfsangebote, wie etwa Traumatherapie.

FairerBuchmarkt: Wie werden diese wertvollen Hilfen finanziert?

Dr. Zabel: Neben den Mitteln der Bundesregierung ist auch die großzügige Unterstützung durch die Japan Art Association zu nennen. Mit der Japan Fundation werden eine Vielzahl gemeinsamer Projekte auf der Basis eines Kooperationsabkommen realisiert. Die Höhe der Spende hat dennoch überrascht.

FairerBuchmarkt: Das Goethe Institut scheut sich nicht vor aktiver Hilfe zurück, Stichwort: Migration und Integration. Welche Projekte der letzten Jahrzehnte hat Sie besonders berührt und beschäftigt?

Dr. Zabel: Besonders wichtig finde ich Projekt, die sich dezidiert an Jugendliche in Krisenregionen wenden. Ob es die Länder Ex-Jugoslawiens, die Ukraine und Russland oder die arabischen Länder sind, gemeinsam ist den Programmen, dass sie Jugendliche aus verfeindeten Staaten zusammenbringen, um zumindest in der jungen Generation Vorurteile abzubauen.

FairerBuchmarkt: Welche Sprachvermittlungsprojekte des GI haben schier unüberbrückbare Gräben geschlossen?

Dr. Zabel: Eine fremde Sprache zu lernen ist immer mehr als Vokabular und Grammatik. Mit einer neuen Sprache erwirbt man auch eine andere kulturelle Prägung, eine neue Sicht auf die Welt, deshalb ist, man kann es nicht oft genug wiederholen, der Spracherwerb der Schlüssel für alle weiteren Schritte der Integration.

FairerBuchmarkt: Welches sind die ersten Worte, die „hängen bleiben“, welche werden in jeder Sprache als erstes gelernt oder vermittelt?

Dr. Zabel: Das hängt davon, ob der Spracherwerb gesteuert oder eher ungesteuert, sporadisch erfolgt. Aus didaktischen Günden wird der/die Unterrichtende mit sogenannten Internationalismen beginnen, um den Lernern klar zu machen, dass sie im Meer der fremden Wörter doch schon einige kennen, um die herum man dann Cluster bilden kann. Gleichzeitig wird im Unterricht aber auch von Anfang an der pragmatische Aspekt, also das Sprachhandeln trainiert, damit die Lerner möglichst rasch Alltagssituationen sprachlich bewältigen können, z.B. „Nach dem Weg fragen“, „Einkaufen“, „über das eigene Befinden Auskunft geben können“.

FairerBuchmarkt: Sie arbeiten eng mit dem PEN-Zentrum Deutschland zusammen. Wie sieht diese Arbeit aus, wie unterscheidet sie sich womöglich von der anderen GI Flüchtlingshilfe?

Dr. Zabel: Das Goethe Institut hat eine besondere Expertise im Bereich der Sprachvermittlung. Die Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem PEN-Zentrum, Pro Asyl oder den Flüchtlingsräten ist noch jungen Datums und ausbaufähig. Ein wichtiger erster Schritt wurde gemacht, als im letzten Jahr die Zusage kam, dass alle Stipendiaten des PEN-Zentrums im „Writers in Exile-Programm“ kostenlos Sprachkurse besuchen können.

FairerBuchmarkt: Was wünschen Sie sich von der deutschen und europäischen Politik für Ihre Arbeit, bzw. zum Umgang mit den Vertriebenen?

Dr. Zabel: Wichtig ist, dass die Stimmung jetzt und in Zukunft nicht kippt zuungunsten der Migranten. Um das zu vermeiden, ist eine Verteilung der Flüchtlinge auf möglichst viele europäische Länder erforderlich. Deutschland kann und sollte die Probleme nicht allein lösen.

FairerBuchmarkt: Was glauben Sie, vorher rührt die Angst vor dem „Fremden“? und kann dies durch Kommunikation gemildert, verändert, aufgehoben werden?

Dr. Zabel: Mit Sicherheit rührt die „Angst vor dem Fremden“ von Unkenntnis her. Dazu gehört, dass es „Das Fremde“ nicht gibt, es gibt relative Fremdheit, die durch Begegnung überwunden werden kann. Multiple Identitäten, hybride Zustände sind heute weit verbreitet. Niemand soll in eine „Leitkultur“ gezwungen werden, gegenseitiger Respekt und Toleranz sind allerdings unverzichtbar.

FairerBuchmarkt: Was wünschen Sie sich von Deutschland, von den hiesigen Einwohnern?

Dr. Zabel: Dass sie sich nicht beirren lassen, weder vom rechten Rand her noch von Bedenkenträgern aus dem Regierungslager.

FairerBuchmarkt: Was ist das Erschütterndste, was Sie bisher in Ihrer Arbeit erlebt haben?

Dr. Zabel: Die Bombardierung Belgrads und Serbiens durch NATO-Truppen 1999.

FairerBuchmarkt :Und was das Berührendste?

Dr. Zabel: Dass es mir gelungen ist, den verfolgten syrischen Autor Fouad Yazji nach Deutschland zu holen. Vor mehr als einem Jahr hatten wir erstmals Mailkontakt. Heute ist er Stipendiat im Writers in Exile Programm des PEN-Zentrums Deutschland.

FairerBuchmarkt: Vielen Dank, Dr. Bernd Zabel, für das Gespräch.