Verstehe einer den Balkan – Richard Swartz hat es versucht

Die aktuelle politische Situation in Kroatien ist von Turbulenzen geprägt: Schon nach wenigen Monaten zerbrach die Koalition der konservativen HDZ („Kroatische Demokratische Union“) mit der neuen Bürgerpartei „Most“.

Zudem lassen Querelen in vielen gesellschaftlichen Bereichen Kroatien in den Fokus negativer Berichterstattung rücken. Schlägt die politische Entwicklung in Kroatien jetzt eine ähnliche Richtung wie in Ungarn und Polen ein? Wer in dem gerade erschienen Buch „Blut, Boden & Geld“ des schwedische Journalist Richard Swartz nach Antworten sucht, landet zunächst einmal in der Vergangenheit.

Swartz, als Korrespondent seit vielen Jahren in Kroatien ansässig, hat sich dem Land auf eine sehr eigene Weise genähert. Mit quasi ethnologischem Blick nimmt er seine Wahlheimat unter die Lupe. Ausgangspunkt sind nicht die Renationalisierungstendenzen, die seit einiger Zeit in Kroatien zu beobachten sind. Swartz setzt in der Nachkriegszeit an, als die siegreichen Tito-Partisanen das sozialistische Jugoslawien begründeten. Es war der Sieg des Kommunismus über die Invasoren aus Deutschland und Italien, aber auch der Sieg über die Ustascha in Kroatien und über die Cetnik-Bewegung in Serbien. Wobei der Autor sich fast komplett auf Kroatien und hier auf den Landesteil Istrien konzentriert. Istrien, vor dem Krieg Teil Italiens, war schon immer eine multiethnische Region, seine Bewohner zwei-, wenn nicht dreisprachig aus habsburgischen Zeiten. Nach dem Sieg Titos findet auch in Istrien eine Fluchtbewegung in Richtung Italien statt. Swartz zufolge jedoch ohne gravierende Folgen für die Landbevölkerung.

Natürlich treten in den istrischen Städten Rijeka und Pula neue Kader auf den Plan. Doch die Mehrheit bleibt das, was sie schon zuvor war: sehr katholisch und ausgesprochen unpolitisch. Recht bald mokiert man sich über die Privilegien für die Partisanen und ihre Familien, die sämtliche Führungspositionen im Staat einnehmen. Eine Anpassung an die neue Ordnung erfolgt nur äußerlich. Swartz hütete sich davor, Aussagen zu verallgemeinern, das überlässt er dem Leser. Er konzentriert sich strikt auf die Geschichte „seiner“ kroatischen Familie. Der Schwiegervater Offizier in der jugoslawischen Armee, die Mutter eifrige Kirchgängerin. Nach seiner aktiven Zeit im Militär wird der Vater zum Leiter der Hafenbehörde Rijekas ernannt. Schon damals klingen ihnen die Parolen der Partei hohl, die Umsetzung der guten Ideen scheitert für sie immer wieder an der Unzulänglichkeit der Funktionäre. Nach der Unabhängigkeit Kroatiens ändert sich daran nicht viel. Das Urteil der Familie über den neuen Staat fällt kaum besser aus: die Proportionen würden nicht mehr stimmen, „auf Jugoslawien habe die Welt gehört, für Kroatien interessiere sich kaum ein Mensch.“

Die neue Ordnung macht sich gleichwohl im Leben der Bewohner breit. Die Familie, inzwischen in einem Haus auf einer Anhöhe über dem Meer lebend, muss wie alle Dörfler den verstreuten Grundbesitz katastermäig absichern. Das verhindert aber nicht, dass beinah monatlich Besucher aus Italien oder später Serbien an das Tor klopfen, um ihren vermeintlichen einstmaligen Besitz, wenn nicht zu reklamieren, so doch zu inspizieren. Die Vertreibung der serbischen Bevölkerung aus kroatischen Gebieten im Zuge der Operacija Oluja (Operation Sturm) wird nur gestreift. Sie ist Swartz jedoch einen Exkurs zur Kriegsführung auf dem Balkan wert, die er in der Tradition von irregulären, paramilitärischen Truppen sieht, wie sie schon in osmanischer Zeit im Einsatz waren. Überfälle, Terror gegen die Zivilbevölkerung, Plünderungen prägten das Bild. In der Folge ergriffen viele Menschen die Flucht. Die Abschrecking funktionierte. Verlässliche Zahlen liegen nicht vor, so Swartz, da es von allen Seiten eine ausgesprochene Tendenz gebe, mit Statistik zu lügen.

Es ist klar, das sich Swartz und seine Frau Slavenka Drakulic, eine ebenfalls kritische Journalistin und Buchautorin, mit solchen Aussagen im neuen Staat keine Freunde mach(t)en. Aber auch in ihrem Dorf auf der Felsklippe sind sie nicht wirklich gut gelitten. Swartz beschreibt das Dorfleben als von archaischen Ritualen bestimmt: Selbstversorgung und Rituale von Tauschhandel halten sich hartnäckig. Zusammen mit unflexiblen administrativen Setzungen sorgen sie dafür, dass sich marktwirtschaftliches Denken bis heute nicht hat durchsetzen können. Preise entstehen aus Sym- oder Antipathie mit dem Käufer und hängen mehr mit Prestige und Macht als mit Angebot und Nachfrage zusammen.

Der Autor schlussfolgert: die diversen Identitäten wurden in ein- und demselben Leben, vor allem in unruhigen Zeiten, so oft und willkürlich gewechselt, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, das eine davon für immer mit der Person verwachsen ist; alle haben mehrere Identitäten gleichzeitig und sind in jeder davon zu Hause.

Am Begriff des Eigentums illustriert Swartz diese Denkweise. Eigentum sei „nur selten etwas, was mit eigenem Geld erworben wurde. Eher etwas, was man geerbt,.zugeteilt bekommen, beschlagnahmt, gestohlen, ergaunert, erheischt oder erbettelt hat“. Nur selten lasse sich sagen, „wo dieses, merkwürdig herrenlose Eigentum beginnt und wo es endet. Unter keinen Umständen ist es aber etwas, was bedingungslos zu respektieren wäre, weder das eigene noch das fremde“, gerade deshalb, so die paradoxe Folgerung, sei es „etwas, was mit allen Mitteln verteidigt werden muss, weil man es sonst schnell verlieren kann.“

Und sein Kommentar zur verbreiteten Ablehnung von Kompromissen lässt sich dann doch auch auf die gegenwärtige politische Situation beziehen: „das beide Seiten bekommen sollten, was niemand haben wolle, weil keine bekommen könne, was sie wolle, könnte man unmöglich als Lösung gelten lassen, höchstens als zeitwiligen Waffenstillstand, der in dem Augenblick ende, in dem die eine Seite sich stark genug fühle, das durchzusetzen, was sie haben wolle.“

Wer bei Swartz politische Analysen, Hintergründe und Ableitungen sucht, wird sich mit dem Buch wenig anfreunden können. Seine profunden Kenntnisse schimmern zwar immer wieder durch, werden aber nicht zu Theoremen gebündelt. Vermutlich war das auch nicht die Absicht des Autors. Seine Stärke zeigt sich vielmehr darin, Fragen zu stellen, einfache Fragen, wie „Weshalb dieses Misstrauen gegenüber dem Nachbarn? Weshalb diese Neigung in ihm den Feind statt den Freund zu sehen? Weshalb die ethnische Säuberung als Wunschtraum und Programm?“ und damit Einblicke in die Mentalitätsgeschichte Südosteuropas zu eröffnen. Insofern geht seine kroatische Famliengeschichte deutlich über das im Titel insinuierte Biographische hinaus.

Richard Swartz: Blut, Boden & Geld – Eine kroatische Familiengeschichte. Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag 2016, 224 Seiten. ISBN 978-3-10-002268-4