Sie wurde in den USA geboren und ist in Wien aufgewachsen, ihr Germanistik-Studium schloss Ann Cotten mit einer Arbeit zur Konkreten Poesie ab. In ihren Texten vereint die Autorin ihre beiden Sprachen Englisch und Deutsch. Ann Cotten wird mit dem Chamisso-Preis 2014 ausgezeichnet.
Die Allerheiligen-Hofkirche im Münchner Residenzviertel wird auch 2014 wieder Schauplatz einer feierlichen Zeremonie sein: der Verleihung des Adalbert-von-Chamisso-Preises an deutschschreibende Autoren nichtdeutscher Herkunft. Der von der Robert-Bosch-Stiftung ausgelobte Hauptpreis geht an Ann Cotten und öffnet somit das Feld hin zu zweisprachigen Autorinnen. Waren in der Anfangszeit oftmals Arbeitsmigranten aus Süd-, Südosteuropa und der Türkei die Prämierten, so wurden in den letzten Jahren immer mehr Schriftstellerinnen aus Osteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion aufs Podest gehoben. Selten hörte man so viele Liebeserklärungen an die deutsche Sprache wie aus diesen Kreisen. Der einheimische Autor muss sich ja erst einmal von lebensweltlichen, aber auch literarischen und literaturbetrieblichen Automatismen lösen, um zu einer eigenen Sprache zu finden. Der nicht in seiner Muttersprache schreibende Autor bringt diesen frischen Blick auf die neue Sprache und den Bildvorrat seiner Muttersprache schon immer mit ein. Das hat aber nicht nur Vorteile, wie der lebenslange Kampf auch gestandener Autoren mit einer Kleinigkeit wie den deutschen Artikeln „der“, „die“ und „das“ leidvoll zeigen kann.
Mehr gezogen als gedrückt
Mit der 1982 in Iowa/USA geborenen Ann Cotten rückt jetzt das amerikanische Englisch in den Blick. In ihren Texten finden sich immer wieder kurze Sätze oder Begriffe aus ihrer Muttersprache. Wie der Kundige weiß, hat jede Sprache Ausdrücke, die eine Sache so treffend wiedergeben, dass eine adäquate Übersetzung scheitert. Sie fühle sich vom Englischen „mehr gezogen als gedrückt“, merkt sie an und vergleicht die Rolle des Übersetzers mit der des interpretierenden Musikers, der sich mit seiner Version einer Vorlage als souveränes Subjekt realisiert.
Mit dem Schreiben angefangen hat Ann Cotten in Wien, wo sie auch aufgewachsen ist. Und es war der Dichter Oswald Egger, der ihre Texte an den Suhrkamp Verlag weiterreichte. Bis es aber zur ersten Publikation beim honorigen Haus Suhrkamp kam, sah sich Ann Cotten erst einmal auf den Lesebühnen und in den Literaturcafés der Stadt um. Da hatte sie den Poetry-Slam, der ihr in Deutschland zu sehr nach Comedy schmeckt, schon hinter sich gelassen. Ob im „Forum der 13“ oder bei „Lauter Niemand“, letztlich waren diese Lesebühnen Zwischenstationen auf dem Weg zur anerkannten Autorin. Wer jetzt annimmt, dass nach dem Band mit Erzählungen ein Roman – die „Königsdisziplin“ – aus der Feder von Ann Cotten folgen wird, ist komplett schief gewickelt: „Sie scheinen von einer für mich absurden Bewertungsskala auszugehen,“ wundert sie sich.
Traum und Wirklichkeit
Mit ihrem Debüt Fremdwörterbuchsonette (2007, Suhrkamp) ließ sie schon aufhorchen. Florida-Räume (2010, ebenfalls Suhrkamp), ein Band, der Lyrik und Prosatexte vereinigt, bestätigt die guten Kritiken aus Fachkreisen, die allerdings immer auch einen Hinweis auf die Schwierigkeit der Texte enthalten. Cottens Texte werden gern als hermetisch und rätselhaft bezeichnet, „Welten entfernt vom Alltagsvokabular“, so die Literaturkritikerin Ina Hartwig. Solche Aussagen weisen aber darauf hin, wie weit sich der Mainstream eines gefälligen, realistischen Erzählens inzwischen in den Köpfen der Experten und des Lesepublikums eingenistet hat. Noch in den ersten Jahrzehnten der bundesdeutschen Nachkriegszeit waren solche Tendenzen unter dem Stichwort „Avantgarde“ sehr lebendig. Oder genauer: die surrealistische Tendenz einer Verschmelzung von Traumebenen und Wirklichkeitsbewusstsein hin zu einer „Überwirklichkeit“? findet sich bei Cotten durchaus wieder.
Ihre letzte Veröffentlichung Der schaudernde Fächer (2013, Suhrkamp) enthält 17 Erzählungen mit kleineren Gedichtanteilen. Mit der Verschiebung hin zur Prosa ist durchaus der Anspruch verbunden, wie sie im Gespräch anmerkt, „verständlicher zu werden“. Das gelingt im neuen Buch ganz gut, das viel weniger Enigmatisches und Prätentiöses enthält. Die Geschichten spielen in Osteuropa, in Japan und in natürlich in Berlin, wo sie heute lebt.
Ann Cotten: »Der schaudernde Fächer« (Lesung) bei youtube
In Japan war Ann Cotten zweimal, ein dritter Aufenthalt im Rahmen eines Stipendiums des Goethe-Instituts folgt im Januar 2014. Einige Texte verarbeiten Situationen und Begegnungen mit Menschen im Land der aufgehenden Sonne. Thematisch ist jede Geschichte eigentlich eine – zumeist scheiternde – Liebesgeschichte. Cottens Prosa umkreist immer wieder die fehlende Wechselseitigkeit zwischen Paaren, im Verhältnis der Geschlechter, im Begehren und im diskursiven Sprechen. Sie tut das in einer eigenständigen, zugespitzten Sprache, die eine rücksichtslose Selbstbeobachtung voraussetzt. Die Selbstverständlichkeiten der zweckrationalen Außenwelt werden bis in Details hinein infrage gestellt und unterlaufen. Sie wechselt dabei souverän von Alltagsphänomenen zu fundamentalen Themen. Das ist intelligent, ungewöhnlich und nicht ohne Wagemut gemacht. Man wird noch Einiges von dieser Autorin erwarten dürfen.
Im Januar 2014 wird Ann Cotten für drei Monate als Stipendiatin des Goethe-Instituts die Künstlerresidenz Villa Kamogawa in Kyoto beziehen.